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Jüdische Gemeinde Bitburg

Zusammenfassung der jüdischen Geschichte in Bitburg

Vor 1800 lebten nachweislich keine Juden in Bitburg. Bis Mitte des 19. Jahrhunderts kamen zwei jüdische
Familien in die Stadt. Danach wurden es mehr und mehr, so dass man an den Bau einer Synagoge denken
konnte. Tatsächlich entstand diese 1878 an der Ecke Rautenberg/Neuerburger Straße. Allerdings wurde
eine Synagogengemeinde nicht genehmigt, weil die Anzahl der Juden zu gering war. 1890 genehmigte die
Stadt den Juden einen eigenen Beerdigungsplatz am heutigen Talweg. Um 1900 bewilligte man den Juden
auch ein eigenes Schulzimmer. Inzwischen war die Gemeinde auf über 70 Personen angewachsen. Auch
im Kreis siedelten sich vermehrt jüdische Familien an, so in Bollendorf, Irrel, Malberg und Kyllburg. Wie
weit die Integration gediehen war, zeigt die Tatsache, dass 1905 der Weinhändler Jakob Juda in den
Stadtrat gewählt wurde. Mehrere jüdische Männer nahmen am 1. Weltkrieg teil. Insgesamt waren die
Juden also ein selbstverständlicher Teil der Einwohnerschaft. Dies änderte sich sehr schnell mit der
Ernennung Adolf Hitlers zum Reichskanzler am 30.1.1933 durch Reichspräsident Hindenburg. Nicht alle
Deutsche waren jetzt mehr Deutsche. Die Nazis schlossen die deutschen Juden zunehmend aus der
Volksgemeinschaft aus. Eine Reihe einschneidender Maßnahmen schränkte die Rechte und das
gesellschaftliche und geschäftliche Leben der Juden zunehmend ein. Auch in Bitburg sollte man nicht
mehr bei Juden kaufen, Anzeigen jüdischer Geschäfte wurden nicht mehr veröffentlicht, Kinder sollten
jüdische Kinder meiden. 1935 zählte man noch 40 Juden in Bitburg. Mit den Nürnberger Gesetzen
erreichte die Ausgrenzung einen vorläufigen Höhepunkt. Viele jüdische Familien zogen die Konsequenzen
und verließen die Stadt, teilweise in größere deutsche Städte wie Köln oder ins westliche Ausland. Einige
konnten so überleben, aber eine große Anzahl geriet doch in die Fänge der Nazis, wurden verhaftet,
deportiert und ermordet. Nach dem Novemberpogrom 1938, als auch die Bitburger Synagoge geschändet
wurde, blieben schließlich nur nach 10 jüdische Personen übrig, die alle in einem Haus in der Kölner
Straße auf engen Raum zusammen leben mussten. Bald wurden vier angewiesen nach Sülm zu ziehen,
von wo sie 1942 in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert wurden. Die letzte in Bitburg
verbliebende jüdische Familie, Silver Kallmann mit Ehefrau Sophie und den Kinder Else und Kurt wurden
im April 1942 über Trier in das Vernichtungslager Belzec deportiert und ermordet. Insgesamt wurden 22
Bitburger Juden Opfer der Shoah.

  • Entstehung und Entwicklung der jüdischen Gemeinde Bitburg (von Dr. Peter Neu)

    Vor 1800 gab es keine jüdischen Mitbürger in Bitburg. Wann die ersten Juden in Bitburg sesshaft wurden, ist unbekannt.

    Im Jahre 1824 wird erstmals eine jüdische Familie mit 5 Familienmitgliedern erwähnt. Es handelte sich dabei wahrscheinlich um den Handelsmann Kallmann Pelzer (* um 1792), der aus Kordel stammte und der um 1820 mit seiner Frau Katharina Say und zwei Kindern aus Trier nach Bitburg kam. Dem Ehepaar wurde in Bitburg 1826 noch ein weiteres Kind, das Mädchen Henriette, geboren, nachweislich das erste jüdische Kind, das in Bitburg zur Welt kam. Pelzer wird als „Handelsmann“ bezeichnet. Sein Sohn Hermann (+ 1886) blieb in unserer Stadt und gründete in Bitburg ein kleines Kaufhaus. Ihm wurden 12 Kinder in Bitburg geboren. Um 1835/36 zog der Jude Marx Levy mit Frau zwei Kindern als zweite jüdische Familie nach Bitburg. Levy stammte aus Aach bei Trier. Seit 1836 wurden ihm in Bitburg noch 5 Kinder geboren. Nach amtlichen Unterlagen zählte man am 31.Dezember 1848 17 Juden in der Stadt. Im gesamten Kreis Bitburg lebten damals 41 Juden. Neben Bitburg bildete Bollendorf mit 8 Juden die zweitgrößte Gemeinde.

    In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts wuchs die Zahl der jüdischen Mitbewohner ständig. Aus Neumagen an der Mosel kamen um 1860 die Brüder Joseph (* 1842) und Simon Juda (* 1833), gründeten hier Familien und wurden Bitburger. Sie bauten ein stattliches Haus am Marktplatz im heutigen Karenweg. Etwa 1875 nahm der Viehhändler und Geschäftsmann Karl Kaufmann (geb. 1846 in Kornelimünster) Wohnung in Bitburg, nachdem er Babette Juda (* 1848 in Neumagen), vermutlich eine Schwester von Joseph und Simon, geheiratet hatte. Er wurde Nachbar der Familien Simon Juda, gründete ein Geschäft mit Landesprodukten, das sich sehr schnell positiv entwickelte. Etwa zur selben Zeit um 1875 zog der Handelsmann Josef Joseph (* 1842 in Aach) mit seiner Familie nach Bitburg. Um 1900 nahmen schließlich die Familien Siegmund, Siegfried und Silve Kallmann (alle drei aus Irrel kommend) und Isidor Meier (aus Pohl-Göns) Wohnung in Bitburg. Im Kreis Bitburg lebten im April 1848 nach amtlichen Unterlagen 41 Juden, 14 davon in Bitburg und 13 allein in Bollendorf. Um 1906, damals zählte die Stadt insgesamt rd. 3.100 Einwohner, umfasste die jüdische Gemeinde Bitburg bereits 72 Personen, das waren 2,2 % der Gesamteinwohner. Im Gesamtkreis Bitburg lebten damals 272 Juden bei rd. 45.500 Einwohnern, das entsprach rund 0,6 %.  Die Juden in der Stadt Bitburg waren gut in der Gemeinschaft integriert. Die jüdischen Mitbürger betätigten sich als Viehhändler, Kaufleute oder Metzger (Fam.Joseph).

    Der Anteil der jüdischen Bevölkerung in der Stadt Bitburg

    Jahr                Gesamtbevölkerung          Juden             % der Gesamtbevölkerung

    1822                           1.559                         5                                 0,3 %

    1833                           1.727                         5                                 0,3 %

    1842                           1.986                         10                               0,5 %

    1848                           2.903                         17                               0,6 %

    1885                           2.707                         38                               1,4 %

    1906                           3.167                         72                               2,2 %

    1925                           4.023                         60                               1,5 %

    Die Einwohnerstatistik zeigt, dass es häufig Wohnungswechsel durch Zuzug oder Abwanderung gab. Um 1885 wanderte Salomon Levy (* 1823 in Aach), der älteste Sohn des ersten Bitburger Juden aus dem Haus Levy, mit seiner Frau und vier Kindern nach USA aus. Auch die Familie des Handelsmannes Max Joseph (* 1876 in Bitburg) erhielt um 1900 die Erlaubnis zur Auswanderung in die  USA. Die Familie blieb jedoch zunächst in unserer Stadt, aber nach Tod des Familienvaters (+ 1918) verließen seine Witwe und die beiden Kinder Anfang der 20er Jahre Bitburg und suchten eine neue Bleibe in den USA.

  • Die Bitburger Synagoge 

    Bereits 1859 bemühten sich die Bitburger Juden darum, als eigene Synagogengemeinde anerkannt zu werden. Das scheiterte aber zunächst an der zu geringen Zahl der Mitglieder. Im Jahre 1876 kauften sechs jüdische Familien ein Grundstück an der Ecke Rautenbergstraße/Neuerburger Straße. Hier sollte eine Synagoge entstehen. Am 7. März 1877 gestattete das Oberpräsidium der Rheinprovinz den Bitburger Juden die Abhaltung einer Hauskollekte bei allen Juden der Provinz, um die rund 14.000 Mark für den Grundstückskauf und die Baukosten aufzubringen. Das jüdische Gotteshaus sollte 50 Sitzplätze haben. Im ganzen Kreis Bitburg zählte man damals nur 12 jüdische Familien, davon lebten 9 in der Stadt. Die Grundsteinlegung erfolgte am 13. April 1877. An der Feier nahmen nach offiziellen Berichten „auch die städtischen Behörden sowie verschiedene andere Ehrengäste unserer christlichen Mitbürger“ teil. Den Bauplan für die Synagoge hatte Kreisbaumeister Peter Julius Wolff unentgeltlich erstellt. Die feierliche Einweihung des Neubaus fand am 21. September 1878 statt. Der jüdische Lehrer Michael Levy aus Trier hielt die Festrede. Die jüdischen Bürger J. Juda, C. Kaufmann und C. Pelzer gründeten ein Festcomitée, das am Nachmittag zu einem öffentlichen Konzert im Garten des Hotels Well einlud, am Abend feierte man das Ereignis mit einem Festball. Der Bau wurde in der örtlichen Presse als „erste Synagoge der Eifel“  gefeiert. - Auch wenn die Bitburger Juden nun eine eigene Synagoge besaßen, eine Synagogengemeinde wurde nicht genehmigt, weil die Zahl der Juden dafür angeblich zu gering war. Auch im Jahre 1921 wurde dieser Antrag noch einmal abgelehnt.

  • Bitburg hatte einen jüdischen Friedhof und eine jüdische Schule

    Da Bitburg keinen eigenen Beerdigungsplatz für Juden hatte, stellte die israelische Gemeinde 1880 und dann erneut 1885 bei der Stadt den Antrag auf Überlassung eines eigenen Beerdigungsplatzes. Der Stadtrat lehnte ab. Schließlich klagten die Juden 1889 gegen die Stadt, erst danach wies die Verwaltung ihnen einen eigenen Friedhof am heutigen Talweg an. Bitburgs Juden hatten ihre Toten bis 1890 in Aach bei Trier beerdigen müssen. - Auf Antrag bewilligte die Stadt den Juden 1900 ein Schulzimmer, ein eigener Lehrer wird aber bereits früher erwähnt. Seit 1908 zahlte die Stadt „bis auf Widerruf“ einen jährlichen Zuschuss von 50 Mark für den jüdischen Religionsunterricht, nach dem Ersten Weltkrieg erhöhte die Stadt ihren Beitrag auf 200 Mark, schließlich wegen der Inflation 1921 sogar auf 500 Mark. Im Jahre 1925 wurde der jährliche Zuschuss auf 200 und dann (1929) 100 Mark gesenkt, er wurde bis zum Beginn der NS-Diktatur gezahlt. -

  • Die Integration der jüdischen Gemeinde in die Bitburger Gesellschaft 

    Der wohlhabende Weinhändler Jakob Juda wurde 1905 Mitglied des Stadtrates und nahm an der Entwicklung der Stadt lebhaften Anteil. Zwei Bitburger Juden ließen im 1. Weltkrieg ihr Leben: Hermann Pelzer und Josef Joseph. Hermann Pelzer (* 1889 in Bitburg, gefallen als Leutnant 1917) war ein Sohn des Textilkaufmanns Karl Pelzer. Der Metzgermeister Josef Joseph (* 1879, gefallen 1918) war um 1900 aus Welschbillig nach Bitburg gekommen und hier sesshaft geworden.

  • Bitburger Juden in den 1920er und 1930er Jahren 

    „Eine Frage der Zeit“: Judenfeindlichkeit in Bitburg vor 1938


    „We had a nice little community“ („wir hatten eine hübsche kleine Gemeinde“), erinnerte sich Herbert Kallmann (1917-1999), in einem Brief aus dem Jahr 1993 an seine Jugend in Bitburg.[1] Die dortige Synagoge war einst der Mittelpunkt einer kleinen Landgemeinde, wie es sie damals zu Hunderten in Deutschland gegeben hat. Ihre besten Jahre hatte die Gemeinde vor dem Ersten Weltkrieg erlebt. Damals, 1906, zählte sie 72 Mitglieder, gegenüber 60 im Jahr 1925. Und obwohl sich im Deutschland der 1920er Jahre wieder verstärkt antisemitische Strömungen bemerkbar machten, scheint das Verhältnis zwischen Juden und Nichtjuden in Bitburg damals noch unproblematisch gewesen zu sein. Der zitierte Brief macht aber auch deutlich, wie rasch sich diese Situation ändern sollte.

    Herbert Kallmann wurde am 06.01.1917 in Bitburg geboren. Sein Vater Siegmund Kallmann stammte aus Irrel und war Viehhändler und Schatzmeister der Synagoge. Die Mutter war Paula Kahn aus Rülzheim/Pfalz. Herbert Kallmann hatte einen älteren Bruder namens Silve (geb. Bitburg 13.02.1915), der 1937 nach Amerika auswanderte und dort ein erfolgreicher Chemiker wurde. Die Familie bewohnte ein Haus im Glockenhäuschen. Ein zweiter „Silve Kallmann“ war der Bruder von Vater Siegmund, der in der Kölner Straße 4 lebte.

    Herbert Kallmann berichtet von einer zunächst unbeschwerten Jugendzeit: „In diesen frühen Jahren war Antisemitismus etwas, wovon wir oder ich nie etwas gehört hatten. (…) Ich kann mich noch erinnern, dass – es mag etwa um 1930 herum gewesen sein - eine Feier stattfand aus Anlass des 75-jährigen Jubiläums der Gründung der Synagoge. Die Hauptredner waren der Landrat und der Bürgermeister von Bitburg.“[2]

    Anfang der 1930er Jahre hat Herbert Kallmann die ersten Nationalsozialisten in der Stadt erlebt: „Ich erinnere mich, dass in den frühen 1930er Jahren die Braunhemden in großen schwarzen Mercedes-Wagen am Grünen See und in der Kölner Straße zusammenkamen, wo jetzt das Eifelbräu ist. Dort waren ein Restaurant und ein Kino und die katholische Bücherei nebenan. Es begann ziemlich schwierig zu werden für uns, besonders nach dem, was wir von Radio Luxemburg hörten. Diese Braunhemden waren sicher nicht aus Bitburg, wir kannten keinen einzigen, sie waren wahrscheinlich aus Trier oder so.“

    Mit der Machtergreifung Hitlers am 30. Januar 1933 begann die Errichtung der nationalsozialistischen Diktatur in Deutschland. Begleitet vom Terror der SA-Schlägertrupps schränkten die braunen Machthaber in den folgenden Wochen systematisch politische und demokratische Rechte ein. Auch die Bitburger NSDAP feierte kurz darauf eine erste deutliche Demonstration ihrer neuen Macht. Am 12. Februar veranstaltete sie, unterstützt von auswärtigen SA-Leuten, einen Aufmarsch mit mehreren Hundert Teilnehmern. Die Aktion richtete sich offenbar gezielt gegen die Zentrumspartei, deren Delegierte an diesem Tag eine Versammlung im katholischen Vereinshaus abhielten (das heutige Haus der Jugend). Während die Bitburger Zeitung dem Aufmarsch am nächsten Tag nur eine nüchterne Meldung widmete, triumphierte das Trierer Nationalblatt am 16.02.1933: „In dem sonst so ruhigen Städtchen herrschte heute ungewohntes Leben und Treiben. Auch Bitburg, die schwarze Hochburg des Zentrums, ist erwacht. Denkt nationalsozialistisch! Denn am Sonntag war in Bitburg großer SA-Aufmarsch.“[3]

    Die Ergebnisse der letzten „freien“ Reichstagswahlen am 5. März 1933 machen deutlich, wie sich in Bitburg und dem stark katholisch geprägten Umland bis dahin die Zentrumspartei als politische Kraft gegen die NSDAP behaupten konnte - wenigstens zahlenmäßig: Mit 42,8% und 49,8% in der Stadt und im Kreis Bitburg lag sie deutlich vor der NSDAP, die hier 34,6% und 36,3% erreichte. Allerdings folgte schon auf dem dritten Platz mit 13,2 % und 7,8 % eine weitere antisemitische Partei, die Kampffront schwarzweißrot / Deutschnationale Volkspartei.[4] In einem parteiinternen Schreiben heißt es noch 1940, der Kreis sei außerordentlich schwer zu gewinnen gewesen denn „der Einfluß der Klerikalen war außerordentlich stark.“[5] Und nicht umsonst musste die Partei ab 1933 zahlreiche ihrer Führungsfiguren „importieren“.

    Die Erinnerung an diese beharrliche Haltung weiter Teile der Bevölkerung spielte nach dem Krieg eine große Rolle für das Selbstverständnis der Menschen hierzulande. Andererseits hatten sich in Bitburg und im Umland auch schon vor 1933 genügend Anhänger in allen sozialen Schichten gefunden, um Ortsgruppen der NSDAP zu gründen. Die feste Haltung der Wähler im Umkreis der katholischen Kirche und der Zentrumspartei lässt sich demnach nicht verallgemeinern. Zudem war im Reichstag die innere Festigkeit des Zentrums vielleicht schon am 23. März an ihren Grenzen angekommen. An diesem Tag gab die Fraktion ihre Zustimmung zu Hitlers fatalem Ermächtigungsgesetz. Es sollte der Anfang vom Ende der Partei werden: unter dem Druck der Nationalsozialisten beschloss sie am 5. Juli 1933 die Selbstauflösung.

    Auch für Herbert Kallmann wurde das Jahr 1933 zu einem entscheidenden Wendepunkt. Über das, was er in seiner Heimatstadt noch erwarten konnte, erhielt er rasch Klarheit „1933 verließ ich die Schule, hätte eine Stellung im Büro des Simonbräu haben können; aber sie warnten mich, dass es nur noch eine Frage der Zeit sei, bis sie keine Juden mehr beschäftigen könnten. So zog ich weg von Bitburg nach Rülzheim/Pfalz (bei Landau), dem Geburtsort meiner Mutter. Dort arbeitete ich in der Zigarrenfabrik meines Onkels, einem Familienunternehmen, als Lehrling und Buchhalter. Gelegentlich kam ich zu Besuch zurück nach Bitburg. Es wurde immer beängstigender. Bei all den Wutreden von Göbbels und Hitler hat man sich einfach nicht mehr sicher gefühlt. Ich sehe noch vor mir wie ein früherer Klassenkamerad namens Ernst Kollnot in HJ-Uniform auf mich zukam; er versuchte sich zu erklären - aber das war zu viel für mich. Ich habe ihn einfach ignoriert.“

    Zu den frühen Formen staatlicher Unterdrückung gehörte seit dem 7. April 1933 der "Arierparagraph", der die Beschäftigung von "Nichtariern" im öffentlichen Dienst verbot. Am 15. September 1935 folgten die „Nürnberger Rassegesetze“, in denen die jüdischen Mitbürger zu Menschen minderen Rechts abgestempelt wurden.

    Während der staatliche Unterdrückungsapparat so das Leben immer weiter erschwerte, kam den Kallmanns ein eigenartiger Zufall zu Hilfe: „1935 traf mein Vater im Zug nach Trier einen früheren Anwohner, der Schmied war. Er hatte ein kleines Haus in Reckingen bei Mersch in Luxemburg. Er bot an, sein Haus gegen unseres im Glockenhäuschen zu tauschen, weil die Menschen in Luxemburg alle Deutschen boykottierten.“ Die Brüder Kallmann setzten alles daran, ihre Eltern von dieser Idee zu überzeugen. So zog das Ehepaar nach Reckingen und betrieb dort eine kleine Landwirtschaft mit Hühnern und Rindern. Silve schloss 1937 in Köln sein Chemiestudium ab und emigrierte im selben Jahr in die Vereinigten Staaten. Auch Herbert Kallmann bereitete jetzt seine Ausreise vor. Kurz vor der Abfahrt von Le Havre am 18. Juli 1938 besuchte er ein letztes Mal seine Heimatstadt: „Vor meiner Abreise kam ich noch einmal nach Bitburg um meinen Onkel Silve zu besuchen; er war in Sorge und dachte, ich mache einen großen Fehler. Er glaubte wirklich, dass Hitlers Tage gezählt seien. Wie hat er sich geirrt! Seine ganze Familie ist im Holocaust umgekommen.“

    Bis 1938 hatten zahlreiche Bitburger Juden die Stadt verlassen. Schon bei der Volkszählung vom 16.06.1933 wurden nur noch 51 jüdische Einwohner verzeichnet; am 10.10.1938 waren es nur noch 11. Die meisten haben sich in die Vereinigten Staaten retten können, auch die Eltern der beiden Kallmann-Brüder folgten ihren Söhnen. Danach wurde es immer schwieriger sich ins Ausland zu retten. Viele, denen die Flucht in die zunächst freien westlichen Nachbarländer gelang, gerieten dort später in die Fänge der deutschen Besatzer.

    Wie die Ausgrenzung der jüdischen Familien in Bitburg ihren Anfang nahm, lässt sich nur vermuten. Schon am 1. April 1933 hatte die NSDAP zum Boykott jüdischer Geschäfte in ganz Deutschland aufgerufen. Die Aktion hatte zwar nicht die erhoffte Wirkung, ließ jedoch ahnen, welche Maßnahmen zur Ausgrenzung jüdischer Unternehmen noch folgen sollten. Wie der Boykott in Bitburg befolgt wurde, ist unbekannt. Allerdings fällt auf, dass die Geschäfte mit jüdischen Inhabern bald nicht mehr im Anzeigenteil der Bitburger Zeitung vertreten waren. Dies spricht dafür, dass sich deren Situation auch in Bitburg signifikant verschlechtert hatte. Umgekehrt sollte später die Bezeichnung „arisches Unternehmen“ zum Werbeargument in der Zeitung werden (1935).

    Walter Thielgen, Jahrgang 1929, erinnerte sich, wie er eines Tages mit seiner Großmutter - es war 1938, das Jahr seiner Erstkommunion - auf dem Weg war zum Textilgeschäft Pelzer (Hauptstraße/Ecke Schliezgasse, damals genannt der „obere Pelzer“, im Gegensatz zum „unteren Pelzer“ am Spittel). Vor dem Laden wurden sie von Männern fotografiert und seine Großmutter habe darüber geschimpft.[6] Zu dieser Beobachtung passt eine Meldung der Bitburger Zeitung vom 13.05.1938, der zufolge einem Beamten oder Angestellten, der in jüdischen Geschäften Waren bezieht, fristlos gekündigt werden könne.

    Direkte feindselige Aktionen gegen jüdische Familien sind in Bitburg ab 1936 bekannt: Familie Victor Joseph (damals An der Römermauer 9) erhielt seit 1936 telefonische Anrufe, in denen sie übel beschimpft wurde. Eines Sonntagmorgens mussten sie feststellen, dass die Fassade ihres Hauses mit Teer verschandelt worden war. Im April 1937 wanderten sie nach Amerika aus (siehe Video [Link zum Video „Familie Joseph wird bedroht]). Im Görenweg wohnte bis zum 20.12.1937 Salomon Kallmann mit seiner Familie. Ein Arbeiter der Brauerei, der in Rittersdorf lebte, kam regelmäßig dort vorbei und sang eines der Hasslieder der SA: „Stellt die Juden an die Wand!“[7] Auf einem Schild in einer Bitburger Bäckerei war Anfang der 1940er Jahre zu lesen: „Hier werden keine Juden bedient“.

    Neben offener Aggression ist auch ein passiver Antisemitismus zu erwähnen, der sich beispielsweise darin äußert, dass ein Vater seiner Tochter riet, sich von den Juden fern zu halten. An verschiedenen volkstümlichen Redensarten wird schließlich deutlich, dass die seit Jahrhunderten überlieferten Vorurteile zumindest in Teilen der Bevölkerung lebendig geblieben waren, etwa wenn es heißt: „Wenn man die Juden hinten zum Haus raus geschickt hat, sind sie vorne wieder rein gekommen“.


    [1]          Datiert 21.03.1993, Original handschriftlich in englischer Sprache, Übertragung und Übersetzung: Burkhard Kaufmann. Herbert Kallmann lebte damals in Denair / Kalifornien, und antwortete damit der Bitburger Schülerin Bettina Rosenbaum. Sie hatte ihn gebeten, für eine Facharbeit am Bitburger Gymnasium seine Erinnerungen an das Leben der Juden in Bitburg zu erzählen. Ein Exemplar der Arbeit, die unter anderem auch eine Kopie dieses Briefes enthält, befindet sich im Stadtarchiv Bitburg und ist als PDF-Dokument auf dieser Seite abrufbar.

    [2]           Die Einweihung der Synagoge fand am 21.09.1878 statt, es dürfte sich also eher um die 50-Jahrfeier gehandelt haben, die für das Jahr 1928 anstand.

    [3]           Trierer Nationalblatt vom 16.02.1933, zit. nach Neu, in: Geschichte von Bitburg, Trier 1965, 481.

    [4]           Bitburger Zeitung vom 6. März 1933.

    [5]           Zitiert nach: Mario Zeck: Das Schwarze Korps: Geschichte und Gestalt des Organs der Reichsführung SS. Tübingen 2002. S. 268 ff.

    [6]           mündlicher Bericht von Walter Thielgen, Hahnenberg 63, Bitburg, (*29.04.1929 +16.11.2012), am 25.08.2008).

    [7]           mündlicher Bericht von Frau Maria Klein, Stockstraße 43, 10.04.2008.

  • Bitburger Juden und das Jahr 1933

    Als Reichspräsident Hindenburg  Adolf Hitler am 30.Januar 1933 zum Reichskanzler ernannte, lebten etwa 40 jüdische Familien in Bitburg. Wohl kaum einer ahnte, was in kürzester Zeit geschehen würde. Innerhalb von weniger als einem halben Jahr hatten die Nationalsozialisten ihre Macht gefestigt. Am 4. Februar 33 wurde die Versammlungs- und Pressefreiheit eingeschränkt, am 28. Februar wurde die Verordnung zum Schutz von Volk und Staat erlassen, womit wesentliche Grundrechte außer Kraft gesetzt wurden, am 23. März verabschiedete der Reichstag das Ermächtigungsgesetz. Im Mai wurden die Gewerkschaften aufgelöst, im Juni die noch vorhandenen Parteien verboten.

    Für die jüdischen Bewohner Deutschlands erfolgte die Diskriminierung und Entrechtung im Wesentlichen durch drei große Schritte:  schon 1933 das Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums, mit dem jüdische Beamte, Lehrer und Hochschullehrer aus dem Dienst entlassen werden konnten, 1935 die Nürnberger Gesetze zur Reinhaltung des arischen Blutes und schließlich die Reichspogromnacht 1938 mit der anschließend systematischen Entrechtung bis zur Deportation. Dazwischen wurden viele einzelne Verordnungen erlassen, die die jüdischen Mitbürger immer weiter isolieren sollten. Alle diese Maßnahmen veranlassten auch viele Bitburger Juden auszuwandern. Dabei bedeutete die Flucht ins benachbarte westliche Ausland häufig nur vorübergehend Sicherheit. Im Herbst 1939 lebten schließlich noch drei jüdische Familien mit insgesamt 9 Personen in Bitburg. Acht von ihnen wurden deportiert und ermordet, einer starb zuvor eines natürlichen Todes. Von den umgezogenen bzw. ausgewanderten Bitburger Juden wurden weitere 14 Personen aufgegriffen, deportiert und ermordet.

  • Pogromnacht 1938 – Deportation - Ermordung (von Dr. Peter Neu)

    „Das Unfassbare“ - so hat man vor Jahren das bezeichnet, was sich im Naziregime zugetragen hat: Fast 6 Millionen Juden verloren ihr Leben. Auschwitz, Treblinka, Sobibor: Es sind Namen des Grauens, mit denen wir das größte Verbrechen der Menschheitsgeschichte verbinden.

    In der unmittelbaren Nachkriegszeit hat man nicht oder kaum über „das Unfassbare“ gesprochen, in den Schulen wurden die Gräuel nicht erwähnt.

    In unserem Geschichtsunterricht, ich machte 1956 das Abitur, ist nie ein Wort über diese Verbrechen gefallen, und auch als junger Lehrer ließ man uns lange im Ungewissen, selbst die ersten Geschichtsbücher der Nachkriegszeit erwähnten die ungeheuren Taten nicht – oder aber nur mit ganz wenigen Sätzen. Es ist heute nicht zu spät, darüber zu berichten.

    Wer bis 1938 noch geglaubt hatte, das Schlimmste werde den jüdischen Mitbürgern erspart bleiben, musste Anfang November erkennen, dass die Nazis vor nichts zurückschreckten. In der Nacht vom 9. auf den 10. November rückten in Bitburg organisierte Trupps von SA-Männern und fanatisierten Parteianhängern an. Sie wurden aus Oberweis, Wittlich und Baustert, vielleicht auch aus anderen Orten herangebracht. Gleichzeitig wurden die Bitburger SA-Leute nach Wittlich abgeordnet.

    Die in Bitburg eintreffenden Nazis verschafften sich Zugang zur Synagoge, die an der Ecke Neuerburger Straße/Rautenberg stand. Die Inneneinrichtung wurde weitgehend zerstört, das Gebäude geschändet. Die kleine Synagoge war 1878 eingeweiht worden, an den Feierlichkeiten hatten damals auch die Vertreter der städtischen Behörden und zahlreiche Christen teilgenommen. Bereits zwei Monate vor den Verwüstungen hatte der Bitburger Synagogenvorsteher, Isidor Meier, dessen Haus an der Ecke Neuerburger Straße/Karenweg stand, die Stadt verlassen und sich zu seiner Tochter nach Köln begeben.

    In derselben Nacht vom 9. auf den 10. November 1938 rückten kleine Trupps aus, um die jüdischen Geschäfte in der Stadt aufzusuchen. Die Nazis beschmierten die Schaufenster mit Teer. Auf dem kleinen jüdischen Friedhof wurden die Grabsteine umgeworfen und die Gräber geschändet. Am Morgen des 10. November setzten die fremden SA-Männer in verschiedenen jüdischen Wohnungen ihr willkürliches Treiben fort. Joseph Pelzer, damals ein Junge von 11 Jahren, beobachtete am nächsten Morgen von der Straße aus, was sich in der Nachbarschaft ereignete. Er berichtete noch im Jahre 2000: „Das wird´ ich nie vergessen. Ein Mann in brauner SA-Uniform schlitzte mit einem Messer in der Wohnung Kallmann in der Kölner Straße Matratzen auf. Dann nahm er ein Beil und zertrümmerte Stühle und Tische und warf alles durch das eingeschlagene Fenster auf die Straße. Das werd´ ich nie vergessen.“ Die eingeschüchterten Juden hatten keine Möglichkeit, sich zur Wehr zu setzen, die Bitburger Bürger blieben – soweit bekannt ist – sprachlos. Einige Juden wurden, weil sie offenbar dem Treiben Einhalt gebieten wollten, in Schutzhaft genommen. Dazu besitzt das Stadtarchiv Bitburg ein amtliches Schreiben:

     (hier fest einbauen Dokument Nummer 002)

    Von den bis dahin in Bitburg verbliebenen 11 Juden wurden fast alle deportiert und ermordet. Sybilla Joseph soll laut Krankenakte am 28.01.1940 in der Nervenheilanstalt Andernach verstorben sein, Hermann Meier, Mötscher Straße 10, starb 1940 in Bitburg. Wenn sie blieben, weil ihnen offenbar die finanziellen Mittel fehlten Bitburg zu verlassen, dann in der Hoffnung, dass es nicht mehr schlimmer kommen könne. Diesen Standpunkt vertrat auch die Familie S. Kallmann aus der Kölner Straße. Der Vater Silve Kallmann (geb. 1888) berief sich immer wieder darauf: „Ich habe das Eiserne Kreuz aus dem 1. Weltkrieg, man wird uns nichts tun.“ Er sollte sich täuschen. Er blieb mit Frau und Kindern in der Stadt und gehörte zu den Personen, die als letzte 1942 deportiert wurden. Das Ziel dieses Transports, der in Trier zusammengestellt wurde, ist unbekannt. Schließlich wurden sie in Belzec ermordet.

    Niemand von denen, die in stiller Hoffnung ausgeharrt und geblieben waren, überlebte. Der letzte Bitburger Synagogenvorsteher Isidor Meier, der zunächst nach Köln gezogen war, verließ Deutschland rechtzeitig und ging nach Amsterdam. Aber die Flucht aus Amsterdam gelang ihm nicht mehr. Er wurde zusammen mit seiner Frau Sophie von Holland aus nach Sobibor verschleppt, wo beide den Tod fanden. Ihr Sohn Arnold hatte sich noch rechtzeitig über London nach USA in Sicherheit bringen können. Auch der angesehene Geschäftsmann Leo Kaufmann war über Köln nach Holland gegangen. Aber auch er wurde dort verhaftet und in Auschwitz ermordet. Ähnlich wie bei seinem Nachbarn Meier hatte er seine beiden Kinder rechtzeitig in Sicherheit bringen können.